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„JETZT GILT ES, SICHTBAR ZU SEIN“

Updated: Apr 15, 2021

Interview mit Dr. Constanze Holzwarth zu Führung in Krisenzeiten. Ein Auszug aus dem Fachbuch Beidhändige Führung.

Vor rund einem Jahr trat in Deutschland der erste Corona-Lockdown in Kraft.

Schlagartig änderte sich damit für Unternehmen der Modus im Geschäftsbetrieb. Es ging um schnelle Entscheidungen, um sichere Rahmenbedingungen für die Gesundheit der Belegschaft und um die Absicherung des Tagesgeschäfts. Wie Führungskräfte mit den Herausforderungen der ersten Tage und Wochen einer Krise bestmöglich umgehen, beschreibt Constanze Holzwarth für Beidhändige Führung. Die promovierte Psychologin arbeitet seit über 20 Jahren mit TopmanagerInnen von Großunternehmen und führenden Mittelständlern in großen Transformations- und Innovationsprozessen.


Das folgende Gespräch fand Ende März 2020 kurz nach Beginn des Corona-Lockdowns statt.


Frau Holzwarth, Sie beraten Top-ManagerInnen in großen Konzernen zu Führung im komplexen globalen Umfeld. Was empfehlen Sie den Führungskräften jetzt in der Zeit der Corona-Krise?

Ich empfehle Führungskräften, jetzt Präsenz zu zeigen und nicht abzutauchen in die Problemlösung. Das ist wichtig gegenüber allen Stakeholdern: den Kunden, den Zulieferern und vor allem gegenüber den Mitarbeitern. Jetzt gilt es, sichtbar zu sein und sich dabei nicht nur den geschäftsrelevanten Themen zu stellen, sondern auch den emotionalen Aspekten, den Sorgen und Nöten der Belegschaft.


Wie schafft man hohe Präsenz, wenn man gleichzeitig auf Distanz führt?

Präsenz ist in diesem Moment der Kontaktreduzierung besonders schwer. Gerade deshalb ist es so wichtig, sichtbar zu sein und den Kontakt zu halten. Alle Mitarbeiter müssen sehen können, dass die Unternehmensleitung da ist. Virtuell gibt es genauso Möglichkeiten, Präsenz zu zeigen, zum Beispiel über das Intranet oder Kommunikationsplattformen.


Gilt das nur für die Unternehmensleitung?

Es gilt für alle Führungsebenen, Präsenz zu zeigen. Wir können nicht die Menschen ins Home Office schicken und sie dort dann sich selbst überlassen. Wenn man nicht an einem Ort ist, sind regelmäßige Meetings noch wichtiger, um sich mit den Leuten zu besprechen, vom Team Meeting bis zum Einzelgespräch.


Sie sprechen zu Beginn einen zweiten Punkt an: Die Gefahr, jetzt abzutauchen in die Problemlösung. Was meinen Sie damit?

Führungskräfte dürfen jetzt nicht nur sachliche Probleme lösen und Dinge „managen“ – sei es, wie die Kurzarbeiterregelung aussieht oder die technische Ausstattung im Home Office. Sie brauchen jetzt gleichzeitig ein offenes Ohr für die Situation der Menschen. Die Einen sind im Home Office umzingelt von ihren zu betreuenden Kindern. Die anderen sind alleine und haben keinen Kontakt nach außen. Zusätzlich gibt es die Arbeitsplatzsorgen. Menschen fragen sich, wie es mit dem Unternehmen weitergeht. Das alles braucht gute Kommunikation.


Dr. Constanze Holzwarth mit Dr. Julia Duwe, 2018
Constanze Holzwarth und Julia Duwe im Gespräch

Wie geht gute Kommunikation?

Schnell und regelmäßig! Wir erhalten gerade täglich neue Informationen in den Nachrichten. Es gibt Informationen vom Robert-Koch-Institut, die Politik informiert regelmäßig. Dass sich die Sachlage ständig verändert, hat Auswirkungen auf die Unternehmen. Sie müssen jetzt ebenso schnell und oft kommunizieren: Lieber zu viel als zu wenig – und sei es, jeden Tag zu informieren, was die aktuellen Entwicklungen für das eigene Unternehmen bedeuten. Diese Kommunikation muss unbedingt über alle Hierarchiestufen hinweg laufen und nicht gefiltert über Führungsebenen. Alle benötigen zur selben Zeit dieselbe Information von der Unternehmensleitung. Es geht darum, alle Mitarbeiter zu erreichen und vor allem auch darum, in den Dialog zu treten und Möglichkeiten anzubieten, Themen zu diskutieren und Fragen zu beantworten.



Vor allem die mittleren Führungskräfte, die nah an den Menschen sind, sind gerade hin und her gerissen zwischen rationalem Handeln und den Ängsten und Emotionen betroffener Mitarbeiter. Wie gelingt der Spagat?

Bei vielen Unternehmen ist jetzt zu beobachten, dass die Führungskräfte überfordert sind mit dieser Situation. Im besten Fall unterstützen Unternehmen ihre Führungskräfte jetzt und vermitteln ihnen, dass sie die Situation nicht alleine lösen müssen. Aufgaben können beispielsweise auf Teams verteilt werden, die in engem Austausch miteinander stehen, ein Team kümmert sich um operative, ein anderes um die kommunikativen Themen. Es ist zudem wichtig, den Führungskräften eine Anlaufstelle zu bieten, z.B. regelmäßige Online-Meetings zum Austausch über den Umgang mit der schwierigen Situation. Das sind aber Maßnahmen-Entscheidungen auf den oberen Ebenen des Unternehmens.


Was kann die einzelne Führungskraft tun?

Auf der Ebene der einzelnen Führungskraft ist jetzt Selbstmanagement gefragt, eine große Herausforderung, wenn ständig etwas von außen kommt. Es geht darum, sich die eigenen Ängste und Unsicherheiten bewusst zu machen. Wenn mir diese bewusst sind, tue ich mich leichter, auf die Mitarbeiter einzugehen. Führungskräfte müssen für sich selbst jetzt auch Grenzen ziehen. Notfalls mit der Argumentation: „ich brauche ein gewisses Zeitfenster, um mich selbst handlungsfähig zu halten“.


Das ist das erste Spannungsfeld: Selbstschutz vs. Präsenz und Sichtbarkeit

Aber ein extrem wichtiges: Erst, wenn ich selbst stabil bin, schaffe ich es, anderen zu helfen. Wenn ich diesen Schritt übergehe, habe ich ein Problem. Vor dieser Herausforderung stehen auch die helfenden Berufe – nehmen wir Pflegekräfte, Psychologen, Ärzte. Du bist jeden Tag mit dem Leid anderer konfrontiert. Du musst empathisch sein, aber dann musst du nach Hause gehen und dich um dich sorgen. Das ist die Aufgabe. Wer das nicht schafft, brennt nach kurzer Zeit aus.

Und in einer Krisensituation wie jetzt?

Bei einer extremen Belastung in kurzer Zeit ist diese Form von Selbstmanagement noch wichtiger. Zusätzlich müssen Führungskräfte auch auf dem Radar haben, dass Stimmungen und Emotionen ansteckend sind. Das gilt vor allem Top-down, weil sich Menschen an den Führungskräften orientieren. In der Krise wird es deshalb elementar, als Führungskraft mit den eigenen Emotionen zurechtzukommen. Denn wenn ich mit negativen Emotionen oder mit Angst unterwegs bin, überträgt sich das auf meine Umgebung. Man kann auch sagen: Stimmungen und Emotionen sind virulent. Es geht nun nicht darum, die eigenen Emotionen zu unterdrücken – ich kann durchaus darüber sprechen, wie es mir geht. Aber gefährlich wird es, wenn diese Selbstreflexion fehlt und ich unwissend meine Emotionen transportiere. Auch oder gerade auch aus diesem Grund müssen wir uns in der Krise um uns selbst sorgen.


Kommen wir zum zweiten Spannungsfeld: Wie findet man das richtige Maß zwischen der notwendigen Klarheit und hohem Einfühlungsvermögen – vor allem, wenn alles gleichzeitig kommt?

Auf der einen Seite gilt es, Gesprächsangebote zu machen und dafür auch offen zu sein. Es empfiehlt sich dann aber, sich vorher genau zu überlegen, was man in der Extremsituation wirklich anbieten kann. Ich spreche aus meiner persönlichen ehrenamtlichen und therapeutischen Erfahrung. Ich habe in meinen Anfängen selbst erlebt, wie es ist, seine Hilfe anzubieten und sich dann plötzlich völlig überrollt und überfordert zu fühlen. Hier muss man aufpassen! Das haben Führungskräfte oft nicht gelernt. Wenn man anbietet „Sie können mich jederzeit anrufen“, dann läuft man Gefahr, dass mitten in der Nacht das Telefon klingelt. Bieten Sie also wirklich nur das an, was Sie auch ehrlich tun können.


Trotz notwendiger Empathie gelten also dieselben Regeln wie im Flugzeug? Im Notfall sich zuerst die Sauerstoffmaske aufsetzen und dann den anderen helfen?

Genau. Das ist ein passendes Bild. Denn wenn alle von der Notsituation betroffen sind, muss zuerst die eigene Handlungsfähigkeit sichergestellt werden, um anderen überhaupt helfen zu können.


Die Balance zwischen dem rationalen Management und dem Emotionalen entsteht…?

…in dem Sie wo möglich die beiden Aspekte separieren. Das kann man zum Beispiel durch klare Zeitfenster lösen: „Ich nehme mir um X Uhr eine Stunde Zeit und spreche mit den Mitarbeitern über die persönliche Situation.“ Das kann man auch erreichen, indem man ein Gespräch einleitet: „Ich habe jetzt viele Informationen, die möchte ich mit Ihnen durchsprechen. Ich weiß genau, das löst vieles bei Ihnen aus, aber die Bitte ist, dass wir zuerst die Faktenlage besprechen. Im Anschluss nehmen wir uns Zeit, Ihre Fragen, Einwände und Persönliches zu besprechen.“ Wenn alles gleichzeitig kommt, hilft es, strukturiert Räume für die unterschiedlichen Anforderungen zu schaffen, die es einem als Führungskraft ermöglichen, bewusst umzuschalten von einem sachlichen in einen empathischen Modus.


Führungskräfte haben in den vielen Standard-Trainings nicht gelernt, wie man in einer plötzlichen nicht planbaren Krisensituation agiert. Was hier passiert, kommt ad hoc…

… und es kommt ja noch hinzu, dass viele selbst betroffen sind. Das ist eine Ausnahme-Situation. In einer akuten Situation ist z.B. wichtig, sich kurze Auszeiten zu nehmen und zu überlegen: Was sind jetzt meine Möglichkeiten? Jeder hat es schon erlebt, dass er plötzlich mit dem Rücken zur Wand stand. Was waren hier die Strategien, kurzzeitig wieder zu sich zu finden? Welche Strategien hatte ich in dieser Situation? Es geht darum, für ein paar Minuten aus der Situation auszusteigen, durchzuatmen und die eigenen Strategien anzuwenden. Eigentlich ist eine solche Krise etwas, worauf man Führungskräfte vorbereiten müsste. Jetzt wissen wir, dass der Umgang mit Krisen zukünftig Bestandteil der Ausbildung werden muss.


*** Auszug aus dem Gespräch von Ende März 2020 ***

 

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch "Beidhändige Führung", erschienen in der 2. Auflage 2020 im Springer Verlag.


Das vollständige Interview lesen Sie im Fachbuch Beidhändige Führung.


Link zur Webseite von Constanze Holzwarth







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